Mädchenlachen, das die Zukunft ist

Bericht von der Afghanistan-Reise von Frank Henkel

Vom 22. bis 27. März 2013 erkundigte sich der Berliner Innensenator, Frank Henkel, wie es den Berliner Polizisten in Afghanistan ergeht und wie die Arbeit der Polizei im Land einzuschätzen ist.

Es regnet, als wir in Kabul landen. Ein unruhiger Flug und über 15 Stunden Anreise liegen hinter der Delegation, die neben mir und meinem Polizeipräsidenten, Klaus Kandt, aus dem Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, und dem Leiter des Referates für grenzpolizeiliche Angelegenheiten und der Geschäftsstelle für internationale Polizeimissionen im Bundesministerium für Inneres, Dr. Christoph Ehrentraut besteht. Wir werden auf dem militärischen Teil des Kabul International Airport von Vizepräsident Wilhelm Schulz empfangen und zum ersten Briefing begleitet. Seit 2011 leitet der Bundespolizist das German Police Project Team (GPPT) und fungiert zugleich als leitender Polizeiberater der Deutschen Botschaft in Kabul.

Aus der eigentlich als Umsteige-Stopp auf der Weiterreise nach Mazar-e Sharif geplanten Landung in Kabul, wurde aufgrund der schlechten Wetterlage ein mehrstündiger Aufenthalt im Green Village –eine große Camp-Anlage für mehrere internationale Organisationen (GPPT, EUPOL, etc.); bewacht wird die Anlage unter anderem vom nepalesischen Wachmännern.

Zum ersten Mal bekommen wir einen Einblick, wie vakant die in der Heimat getätigten Planungen werden. Eine besondere Herausforderung an die Organisatoren, der sich bis zur Abreise gestellt werden muss. Es gelingt unserem führenden Reiseplaner aus Mecklenburg-Vorpommern, Fregattenkapitän Roland Vogler-Wander, kurzfristig Platz in einem Norwegischen Flieger zu organisieren. Diese fliegt allerdings erst gegen Abend und mit einem erheblichen Umweg von vier Stunden.

Die Zeit wird zur kurzen, ersten Vorstellung der Missionen genutzt, allen voran der seit 2002 laufenden polizeiliche Projektgruppe des German Police Project Team (GPPT). Rund 200 deutsche Polizisten haben in den letzten zehn Jahren afghanische Polizisten und Polizei-Ausbilder - so genannte Trainees – ausgebildet. Durch die Deutsche Hilfe konnte in dem immer noch sicherheitspolitisch instabilen Land eine eigene Polizeistruktur aufgebaut und zudem ein funktionierendes Ausbildungssystem geschaffen werden. Ein Land mit 29,8 Mio. Einwohnern, die sich auf einer Gesamtfläche von über 650.000 km² aus mindestens vier ethnischen und drei religiösen Gruppierungen zusammensetzen, hat jedoch völlig andere, unbekannte Sicherheitsanforderungen. Das afghanische Volk hat jahrzehntelange Kriege hinter sich; es ist arm: arm an Bildung, arm an Infrastruktur, arm an Kultur und vor allem arm an Vertrauen als die ISAF (International Security Assistance Force) ihre Sicherheits- und Aufbaumission unter NATO-Führung 2001 beginnt. Derzeit sind 50 Länder mit 129.895 Soldaten an der ISAF beteiligt, davon 4.715 aus Deutschland (Stand: 9. Januar 2012). Eingeteilt in fünf so genannte Regional Commands werden die Logistik gemanagt und die Kommandostruktur im ganzen Land kontrolliert.

Unser Weiterflug mit einer norwegischen ISAF-Maschine bringt uns mitten in der Nacht sicher zum International Airport in Mazar-e Sharif im Regionalkommando Nord (RC North). Das Camp Marmal wird uns für die nächsten zwei Tage Unterkünfte stellen. Am Fuße des Hindukusch liegt hier das größte Feldlager der Deutschen Bundeswehr außerhalb Deutschlands, das seit September 2005 auf einer Fläche von 2.000 m × 1.000 m entstand. Leiter des RC North und damit gleichzeitig nationaler Befehlshaber des Deutschen Einsatzkontingentes ist Generalmajor Jörg Vollmer. Der nächste Tag beginnt mit einem gemeinsamen Besuch des Ehrenhains und dem Gedenken der gefallenen Deutschen Soldaten.

Unter den insgesamt ca. 5.500 Soldaten, die derzeit Ihren Dienst im Camp Marmal leisten, sind, 2.800 Deutsche. Auch die Vereinigten Staaten, Norwegen und Kroatien gehören zu den 20 Nationen, die hier vertreten sind.

Über dem Camp schwebt Tag und Nacht ein Beobachtungs-Zeppelin – The Eye genannt – ausgerüstet mit Hochleistungskameras überwacht es die Umgebung in einem Radius aus mehreren hundert Kilometern. Es gibt wahrscheinlich in Afghanistan keinen sicheren Ort, als hier. ISAF-Soldaten, -Mitarbeiter und –Polizisten verlassen das Camp nur zu offiziellen Anlässen. Private Besuche außerhalb des Camps oder gar das Annehmen von Einladung afghanischer Kollegen (sogenannte social moves) sind strengstens untersagt.

Während des nachmittäglichen Besuches der deutschen Polizeiausbildungsstätte (GPTC) und im Gespräch mit Generalleutnant Baba Jan, dem Kommandierenden General der Uniformierten Polizei im Nordbereich Afghanistans, wird deutlich, dass die deutsche Hilfe bei der Polizeiausbildung für die gesamtstaatliche Entwicklung Afghanistans einen unverzichtbaren Beitrag leistet. Die afghanische Polizei verfügt mittlerweile über mehr als 350.000 Beamtinnen und Beamte. Diese Akademie schafft Sicherheit für die Bürger in Afghanistan und somit auch für die Menschen zu Hause in Deutschland.

Bei der abendlichen Verleihung der Afghanistan-Spange – mit der seit Januar 2011 GPPT-Polizeibeamtinnen und -beamte als Zeichen des Dankes und der Anerkennung ausgezeichnet werden – ergeben sich erstmalig direkte Gespräch mit den Kollegen aus Berlin. In Mazar-e Sharif befinden sich sieben und in Kabul vier Berlinerinnen und Berliner im Einsatz.

Zurück in der afghanischen Hauptstadt erfolgt eine Begrüßung im NATO-Hauptquartier vom deutschen Generalmajor Warnecke und Offizieren seines Stabes, die für die Polizei-Aufbaumission verantwortlich sind.

Auch wenn die Sicherheit im Inland zunehmend durch afghanische Kräfte gewährleistet wird, die ihre wachsende Selbstständigkeit und Operationskompetenz immer mehr unter Beweis stellen, ist die Gefährdungslage im Land weiterhin instabil. Der Angriff gegen das Green Village im Mai 2012 mit mehreren Toten zeigt dies auf erschreckende Weise. Dennoch wird der ISAF-Einsatz wie geplant 2014 enden und eine bloße Verlängerung ausgeschlossen. Zielführender ist eine neue Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission – diese befindet sich in Planung. Die Bundesregierung hat ihre Beteiligung an der NATO-Folgemission bereits zugesagt.

Zum ersten Mal verlassen wir später im Konvoi die gesicherten Unterkünfte und fahren direkt durch Kabul zum Afghanischen Innenministerium. Im ministerialen Amtssitz des Innenministers Patang werden wir von ihm und führenden Polizeioffizieren begrüßt. Die Deutsche Aufbauhilfe für die afghanische Polizei ist bei der afghanischen Bevölkerung und bei allen Partnern hoch anerkannt. „Deutschland sollte auch nach dem Rückzug der ISAF-Truppen Afghanistan nicht vergessen, da die erreichten Fortschritte bei Aufbau und Ausbildung einer eigenständigen afghanischen Polizei noch weiterer Unterstützung bedürfen.“, so Patangs Wunsch.

Der anschließende Besuch der Afghan National Police Academy (ANPA) und das Gespräch mit Akademieleiter Brigadegeneral Sailab geben uns weitere Einblicke in die wichtige, engagierte Arbeit des GPPT. 2012 hatte das deutsche Polizeikontingent der Polizeiberater und der Trainingsexperten des GPPT eine Gesamtstärke von 191 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten. Dabei handelt es sich um 74 Bundes- und 117 Länderpolizisten. Schwerpunkte des bilateralen Polizeieinsatzes sind das Mentoring und die Durchführung der Aus- und Fortbildung afghanischer Polizisten, die Ausbildung afghanischer Trainer, die Weiterentwicklung der deutschen Polizeitrainingszentren und die Sicherstellung der Voraussetzungen für Übergabefähigkeit der deutschen Trainingszentren mit anschließender, erfolgreicher Übergabe. Die ANPA wurde vom GPPT gebaut und in die Verantwortung des afghanischen Innenministeriums gegeben. Dank der ausführlichen Vorbereitung des afghanischen Leitungs- und Ausbildungspersonals betreibt die afghanische Polizei die Akademie erfolgreich selbstständig weiter. Der Fahrplan für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung bis Ende 2014 sieht auch weiterhin die Beobachtung und ggf. beratende Tätigkeiten, die Rekrutierung des Nachwuchses und vor allem das Mentoring des Führungspersonals vor.

Der letzte Tag begann mit dem Besuch der Delegation des gerade mit deutschen Mitteln fertig gestellten International Airport Mazar-e Sharif, welcher 2014 in Betrieb gehen soll. Eigens für die Einhaltung der Grenzüberwachung und Zollaufgaben wurde in Afghanistan eine Hundestaffel geschaffen und vom GPPT ausgebildet. Bei einer praktischen Vorführung der Einsatzmittel zeigen die Afghanen die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten. Diese erfolgreiche Entwicklung in den letzten Jahren lässt den afghanischen Polizeichef auch über die Errichtung einer Reiterstaffel nachdenken, deren praktischen Einsatz er in Ägypten gesehen habe.

Seit Juni 2007 unterstützt die zivile Mission EUPOL (European Union Police Mission in Afghanistan) die afghanische Regierung beim Aufbau der Polizei und der Entwicklung eines Rechtsstaates. Bei einem gemeinsamen Mittagessen auf Einladung des Leiters der EUPOL AFG Mission, dem Schweden Karl Ake Roghe, wurden die hierbei gesetzten Schwerpunkte erläutert. Im Fokus stehen dabei der Aufbau einer Kriminalpolizei, die Korruptionsbekämpfung und die bessere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Im Oktober 2012 betrug die Anzahl der internationalen EUPOL-Angehörigen 342. Davon sind 196 Polizistinnen und Polizisten sowie 146 zivile Experten. Deutschland ist mit 22 Polizisten und 18 Zivilisten somit die am zweitstärksten (nach den Niederlanden mit 40) vertretende Nation.

Die außerordentliche Entwicklungs- und Aufbauhilfe Deutschlands ist ein wichtiger Einsatz um den Gefahren des Terrorismus Einhalt zu gewähren. Ein Menschenleben hatte in Afghanistan jahrzehntelang wenig Wert. Die Arbeit der ISAF-Mission unter deutscher Beteiligung in den letzten zwölf Jahren hat dazu beigetragen, dass jedes einzelne Leben am Hindukusch wieder zählt. Wenn einem auf der Straße eine Gruppe kleiner Mädchen mit weißen Kopftüchern lachend entgegenkommt, dann kann man aufatmen: Das ist die Zukunft.

Gleichwohl die Analphabetenrate mit 70 % (Frauen sogar 90 %) im internationalen Vergleich sehr hoch ist, befinden sich mittlerweile 13 Universitäten sowie über 30 private Hochschulen und Fachhochschulen im Land. Bildung ist überregional – unabhängig von Geschlecht, Ethnie oder Religion – zugänglich.

Seit 2012 liegen alle Provinzhauptstädte sowie 75 % der Bevölkerung in der Sicherheitsverantwortung der afghanischen Sicherheitskräfte. Damit leben 90 % der afghanischen Bevölkerung in Regionen, in denen die Transition (Übergang in die Eigenverantwortlichkeit – sozusagen der langsame Rückzug der ISAF ab 2014) eingeleitet wurde. Die Sicherheitslage in diesen Gebieten ist stabil geblieben und konnte sich teilweise sogar leicht verbessern.

Die Afghanen haben mehrfach gezeigt, dass sie komplexe Situationen professionell und weitestgehend eigenständig bewältigen können. Dennoch sollte die enge Partnerschaft mit Afghanistan auch über das Ende der Transitionsphase hinausgehen. Im nächsten Jahr sind Präsidentschaftswahlen. Die NATO wird den Verlauf dieser demokratischen Regierungsbildung streng beobachten und sicherlich auch abhängig davon über den Verlauf des weiteren Einsatzes entscheiden.

Meinen Kolleginnen und Kollegen vor Ort möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal meinen herzlichen Dank und unglaublichen Respekt vor Ihrer Arbeit ausdrücken. Während meines Besuches konnte ich mich von der Kompetenz, Professionalität und dem unermüdlichen Engagement überzeugen. Wer in Afghanistan – fernab der der Heimat – Verantwortung übernimmt und hervorragende Arbeit in einem schwierigen Umfeld leistet, verdient meine vollste Anerkennung und Hochachtung.  


Herr Frau
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